Die Open Space Philosophie - Selbstorganisation

                       

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Open Space ist, wie viele kraftvolle Methoden, gleichzeitig Philosophie und Verfahren.Das kann sehr trügerisch sein.

Open Space funktioniert so gut ("open space always works"), weil er sich eines universellen Arbeitsprinzips bedient, das überall auf der Welt schnell greift: Der Selbstorganisation. 

Je nach Lebenserfahrung und persönlicher Neigung löst der Begriff "Selbstorganisation" blitzartig Entsetzen vor dem zu erwartendem Chaos oder helle Begeisterung wegen der scheinbar zu erwartenden schrankenlosen Freiheit aus.

Das dürfte damit zusammenhängen, dass über Selbstorganisation wenig Alltagswissen vorhanden ist. Selbstorganisation bedeutet ja nicht, jeder macht was er will.

Damit Selbstorganisation lebendig und wirkungsvoll werden kann, müssen drei Bedingungen erfüllt sein:

1. Es braucht eine klare Operationsregel, damit Menschen ihr Verhalten sinnvoll steuern können. Bei einem Vogelschwarm wird das z.B. über den Ausgleich der Abstände der Vögel im Flug zueinander reguliert.

2. Es braucht einen gemeinsamen Bezugsrahmen. Der wird durch bei den Vögeln durch die Zugehörigkeit zur Art und durch die Steuerung durch Instinkt und Gewohnheit hergestellt. Niemals fliegt eine Wildgans mit Krähen.

3. Es braucht eine Initiation, also einen gelungenen Start. Ein Vogelschwarm fliegt erst auf, wenn eine gewisse Anzahl von Vögeln losgeflogen ist.

Selbstorganisation im Open Space funktioniert, weil diese drei Bedingungen im Grundsetting erfüllt sind. Und wenn sich jemand nicht auskennt und glaubt er kann sich was sparen, fällt er auf die Nase.

1. Die Operationsregel im Open Space:

Herz- und Kernstück jeder Open Space-Veranstaltung ist das sogenannte "Gesetz der zwei Füße" (auch "Gesetz der Mobilität"). Eigentlich die einzige Verpflichtung, die Menschen bei Open Space eingehen.

Das Gesetz lautet:

"Überprüfe in jedem Augenblick, ob du an dem Ort an dem du dich befindest, etwas lernen oder beitragen kannst. Wenn du weder lernen noch beitragen kannst, befindest du dich am falschen Ort. Benütze deine 2 Füße, um an einen besseren Ort zu gelangen." Wer eine Gruppe verlässt, ehrt die Gruppe mit seiner Abwesenheit.

Mit diesem Gesetz werden sehr leichtfüßig drei zentrale Motive eingeführt: "Freiheit", "Selbstverantwortung" und "gelebte Leidenschaft". Wenn eine Gruppe zusammensitzt, kann sie darauf vertrauen, dass alle Anwesenden den innerlichen 2-Füße -Check gemacht haben und sich absichtsvoll hier befinden. Dass den anderen das Thema auch ein Anliegen ist. Das verbindet und schafft Augenhöhe. Jeder ist selbst dafür verantwortlich, dass er eine spannende Zeit hat. Wer im Zweifel bleibt, statt zu gehen und wer sein Herzensthema verschweigt, ist selbst schuld. Die Möglichkeit in jedem Augenblick zu wählen kann zur Qual werden, wenn man sich am liebsten vierteilen möchte, aber die Gewissheit wählen zu können und letztlich nur sich selbst verantwortlich zu sein, ermöglicht den Menschen ein ungeheures Freiheitsgefühl. Und es ist wahr, die Menschen sind im Open Space in ihrer Entscheidung wirklich frei.

2. Der Bezugsrahmen im Open Space:

Ich höre schon die Kritiker stöhnen, "Wusste ich es doch, jeder macht was er will, Chaos pur".

Schauen wir also darauf, was die Menschen zusammenhält und ausrichtet. Das sind einige wenige Dinge, die recht unspektakulär wirken, aber essenziell sind.

  • das Thema
  • die Ziele und Vorgaben der Auftraggeber/Veranstalter (Givens)
  • der Kreis (als universelles Symbol für die Gleichrangigkeit im Gespräch)
  • die Öffnung des Raumes durch die Moderation
  • die Anschlagtafel und der Marktplatz
  • Zeitstruktur und Raumressourcen
  • die Infrastruktur zur Erstellung der Dokumentation, des sogenannten "Buches"
  • der Abschluss.

Eine Schnurre nebenbei: Meine Frau hat mir unlängst von einer Veranstaltung (einem größeren Kollegentreffen) erzählt, bei der die Moderation eine Open Space Phase durchführen wollte und es geschafft hat, nahezu keines der Elemente der Minimalstruktur vorzusehen. Mit liebevollem Nachfragen der erfahreneren Kollegen seien sie dann vor Ort live im Kreis entwickelt worden (Thema, Zeiten, Arbeitsplätze). Ich meine, eine gewisse Ahnungslosigkeit ist hilfreich dabei sich was Neues zu trauen, aber man sollte es nicht übertreiben!

Aber jetzt ganz im Ernst: Noch nie ist eine Open Space Veranstaltung gelungen, bei der das Thema lasch und die Intention nicht klar war. Bei keiner anderen Veranstaltungsform ist der Fokus als gemeinsamer Bezugspunkt so wichtig, wie beim Open Space. Die Erarbeitung der Ziele und eines knackigen, motivierenden Thema ist daher, nebst diversen logistischen Nebengeräuschen, auch die wichtigste Tätigkeit bei der Vorbereitung einer Open Space Veranstaltung.

(Details zu den praktischen Fragen lesen sie bitte im Abschnitt "Logistik einer Open Space Veranstaltung")

3. Die Initiation im Open Space - die Anmoderation

(Weiter unten im Text finden Sie einen eigenen Abschnitt "Open Space Moderation", hier nur das wichtigste in Kürze.)

So wie der Vogelschwarm zum Losfliegen ein Signal braucht, braucht ein Kreis von Menschen gebündelte Aufmerksamkeit, eine energetische Fokussierung für einen gelingenden Aufbruch in die Selbstorganisation. Das klingt vermutlich einleuchtend.

Erschwerend kommt leider dazu, dass im Open Space die Anfangsphase für die Moderation eine der wenigen Gelegenheiten ist, um wirklich markante Akzente zu setzen. Und es gibt keine zweite Chance. Wenn die Vögeleins sich erst gelangweilt weggedreht haben oder ins Argumentieren kommen, ist der Ofen aus.

Nun, wie tun? Ansagen alleine kann es nicht sein, jeder der schon mal eine große Gruppe moderiert hat weiß, wie defokussiert Menschen, gerade am Beginn einer Veranstaltung, sein können. Flammende Reden zu halten wäre echt daneben: es würde eine affektive Bindung zur Moderation herstellen und das wäre die genaue Kontraindikation zur Selbstorganisation der Teilnehmer und zum Loslassen der Moderation.

Also: Es braucht ein Ritual, etwas das ein bissel schräg ist, aber nicht verstört, das konzentriert, aber auf die richtige Stelle und das vor allem Mut und Zutrauen bei den Teilnehmern weckt, dass sie genau die Richtigen für diese Aufgabe sind. Openspacenics gehen an dieser Stelle innen den Kreis der Teilnehmer, während sie sprechen. Eine meine Lieblingsmetaphern bei der Anmoderation ist es, den Menschen zu erzählen wieviel Erfahrung sie für die Bearbeitung des Themas gemeinsam mitbringen: Also z.B. 100 Teilnehmer, die im Schnitt 30 Jahre vor Ort leben, macht 3000 Jahre Erfahrung. Das ist doch was, auf dem man aufbauen kann, oder?

Zwischenresumee:

Open Space lebt von und mit der Selbstorganisation der Teilnehmer. Das ist für Auftraggeber anfangs eine irritierende Vorstellung: So viele Menschen und Niemand und Nichts der sie steuert - außer eben der Leidenschaft für das Thema und Selbstverantwortung. Im Gegenteil: Jeder Versuch des Veranstalters, des Moderators oder einzelner Teilnehmer die Veranstaltung zu steuern oder unter Kontrolle zu bringen "schließt den Raum" vorzeitig und die Luft ist draußen.

Die Grundregel lautet also: Alles tun, was Selbstverantwortung / Selbstorganisation unterstützt:

· Klarheit über Ziele, Givens, Raum, Zeit geben

· Energetisierende Anmoderation

· Loslassen von Veranstaltern und Moderation

Die 5 Grundsätze (Principles)

Weil es im Open Space Format so wenig zum Anhalten gibt, werden manchmal die ursprünglich vier, nun fünf Grundsätze ziemlich überbetont, manchmal sogar zu Regeln hochstilisiert.

1. "Whoever comes are the right people - Die da sind, sind genau die richtigen Leute"

2. "Whenever it starts is the right time - Es beginnt, wenn die Zeit reif ist"

3. "Wherever it happens is the right place - Wo immer es stattfindet, ist der richtige Ort"

4. "Whatever happens is the only thing could have - Was immer geschieht: es ist das Einzige das geschehen konnte"

5. When it's over, it's over, when it's not over, it's not over - Vorbei ist vorbei, nichtvorbei ist nichtvorbei

Falls Ihnen das Englisch der "Principles" stellenweise ein wenig krude vorkommt, dann sind Sie nicht der Einzige. Harrison Owen hat gelegentlich auf der Open Space Email Liste umfangreich sprachwissenschaftlich dargelegt, warum die Grundsätze nur genau so lauten können, wie sie dastehen - und wer könnte sich dem entziehen.

Im Grunde handelt es sich bei den fünf Grundsätzen um "Erlaubnisse", Menschen sollen das, wonach ihnen ist, mit gutem Gewissen tun können. Nicht mehr und nicht weniger.

In der Anmoderation werden diese Grundsätze je nach Zielgruppe üblicherweise näher erläutert, um die damit verbundenen Erlaubnisse und Optionen zu verdeutlichen. Manche Teilnehmergruppen sind so selbstbestimmt, dass sie das alles im Grunde gar nicht brauchen.

Ein weiteres Kuriosum: Schmetterlinge und Hummeln (advanced readers only)

Weil es so gut dazu passt: Wenn Menschen das Gesetz der zwei Füße anwenden, ergeben sich Verhaltensweisen, die üblicherweise in Veranstaltungen verpönt sind. Menschen, die scheinbar herumlungern bzw. Menschen, die durch die Arbeitsgruppen wandern. Owen hat dieses Phänomen mit zwei positiven tierischen Metaphern benannt: "Schmetterlinge" für die Herumlungerer und "Hummeln" für die Herumflatterer zwischen den Gruppen.

Das sind zwei weitere Erlaubnisse, in sympathische Bilder gepackt. Leider haben Menschen, die die Open Space Philosophie nicht verstanden haben, zwei Dinge getan, die nicht hilfreich sind und der Leichtigkeit des Formates eher schaden. Die einen haben eine Menagerie von Tierrollen erfunden (die Ameise, die Giraffe etc.), was gar nichts bringt - wer will schon eine Tierrolle ausfüllen? Die anderen haben die Schmetterlinge und die Hummeln künstlerisch visuell hochstilisiert und damit ein Widerstandspotential (wegen kindischer Zeichnungen) aufgebaut, dass völlig überflüssig ist. Weil es einfach darum geht, dass Menschen etwas mit gutem Gewissen tun dürfen, wonach ihnen sowieso ist.

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