Das Besondere an der Arbeit mit großen Gruppen

Die effektive Arbeit mit großen Gruppen ist auch für den erfahrenen Facilitator etwas Besonderes: Große Gruppen sind kein sozialer Aggregatzustand des Alltags, sondern vielmehr ein Ereignis, das ganz eigenen Spielregeln folgt.
Wer mit hundert oder auch noch viel mehr Personen als "Gruppe" (mit all dem was wir damit verbinden) effektiv arbeiten will, muss auf vier Fragen eine gute Antwort wissen:

  1. Wie kann der Einzelne gehört werden?
  2. Wie geht man mit übereifrigen Beteiligten um? 
  3. Wie geht man mit massenpsychologischen Phänomenen um? 
  4. Was sind angemessene Arbeitsstrukturen?

Ad 1. Gehört werden:

Eine Milchmädchenrechnung: 1 Stunde Sprechzeit ergibt bei 120 Menschen im Schnitt 30 Sekunden brutto. Und: gesagt ist nicht gehört. Der Hauptfrust den Menschen erleben: Der Kopf ist voller Ideen, das Herz voller Anliegen und sie kommen nicht zu Wort. In der Gesellschaft nicht und bei Veranstaltungen auch nicht. Die Anforderung lautet also: "Wie kann man viele Menschen gleichzeitig zielgerichtet ins Gespräch bringen, für Abstimmung sorgen, Ergebnisse sichern und zugleich unmittelbar allgemein zugänglich machen?"

Ad 2. Übereifrige Beteiligte:

Übereifrige Beteiligte sind in der Fachsprache die Träger von Special Interests. Dabei handelt es sich um Menschen, die aus welchen Gründen immer, stark auf sich selbst und ihre Bedürfnisse konzentriert sind. Sie vertreten mit Leidenschaft ein Anliegen, das ihnen wirklich am Herzen liegt.

Der konzentrierte Blick auf sich selbst und ihre Bedürfnisse hindert sie daran, den Unmut wahrzunehmen, den sie dadurch bei den anderen Teilnehmern auslösen. Im Gegenteil: Unmut und Desinteresse der anderen Parteien beflügeln sie in ihren Anstrengungen, ihre Anliegen nachdrücklich zu vertreten. Die Herausforderung lautet also: Wie kann man diese engagierten Menschen einbinden, und gleichzeitig der physischen und psychischen Kraft der anderen Teilnehmer zu optimaler Wirkung zu verhelfen?

Ad 3. Massenpsychologie:

Größere Menschenansammlungen haben einen völlig anderen emotionalen Haushalt als kleine Gruppen. Starke kollektive Gefühle wie Euphorie, Wut und Enttäuschung entstehen oft als Flächenbrand und können genauso rasch wieder verschwinden. Emotionale Spaltungen in "gut und böse" bzw. "Wir und die Anderen" sind schnell bei der Hand. Besonders dann, wenn sich Menschen in Ihren Lebensbedürfnissen betroffen oder bedroht fühlen. Generell gilt: differenziertes Denken wird schwieriger, der Bauch dominiert den Verstand. Die Anforderung für den Moderator lautet also: bei der Sache bleiben, Gefühle dosiert zulassen und durch Reflexion bearbeitbar machen und vor allem: Interventionen vermeiden, die Polarisieren, Emotionalisieren oder kollektive Frustrationen auslösen.

Ad 4. Angemessene Arbeitsstrukturen

Diese Anforderung ist der wichtigste Beitrag für die Lösung der drei obigen Fragen. Sie bildet gleichzeitig das Kernstück der Leistung der Arbeit mit großen Gruppen.

Inhaltlich geht es darum, eine Dramaturgie für den Prozess zu entwickeln, die
  • kontextbezogen und auf das Veranstaltungsziel hin
  • gleichzeitig einen geeigneten inhaltlichen und emotionalen Bogen spannt, 
  • dafür jeweils geeignete Arbeitsformen anbieten und 
  • einen kommunikativen Austausch der Teilnehmer ermöglicht.
Die Durchführung einer Veranstaltung ist nur das sichtbare Ende der langen Kette sorgfältiger Klärungs-, Abstimmungs- und Vorbereitungsarbeit im Vorfeld.